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AutorenbildMatti Geyer

Der Spreepark Berlin: Die wildeste Geschichte Berlins, die mit jedem Detail unglaublicher wird

Mitten im Plänterwald erhebt sich ein ikonisches Riesenrad – stumm, verfallen, aber voller Geschichten. Der Spreepark Berlin, einst als „Kulturpark Plänterwald“ 1969 eröffnet, lockte zu DDR-Zeiten Millionen von Besuchern an. Nach der Wende begann der Wandel zum modernen Freizeitpark, doch ab 1999 brach das Chaos aus: sinkende Besucherzahlen, wirtschaftliche Turbulenzen und schließlich die Schließung im Jahr 2002. Seitdem ist der Ort eine bizarre Mischung aus Ruine, Legende und Sehnsuchtsort.


Doch das ist erst der Anfang. Die Geschichte des Spreeparks ist so voller Wendungen und Absurditäten, dass sie selbst die wildesten Fantasien übertrifft. Was folgt, ist eine der verrücktesten Erzählungen, die Berlin je hervorgebracht hat.



1969–1991: Der „Kulti“ – Ein Freizeitparadies in der DDR

Der Kulturpark Plänterwald öffnete 1969 seine Tore, um den 20. Geburtstag der DDR zu feiern, und wurde schnell zu einem beliebten Ziel für Jung und Alt. Mit jährlich bis zu 1,7 Millionen Besuchern war der „Kulti“, wie er liebevoll genannt wurde, der einzige ständige Vergnügungspark der DDR. Auf 29,5 Hektar bot der Park eine einfache, aber charmante Mischung aus dauerhaften Fahrgeschäften, Buden und begrünten Flächen.


Das Riesenrad, eine weithin sichtbare Landmarke, wurde 1989 anlässlich des 40. Jahrestages der DDR modernisiert und war eines der Highlights. Neben Karussells und Achterbahnen fanden auf den Freilichtbühnen auch Konzerte statt, die in den 1980er Jahren sogar eine subkulturelle Punk-Szene anzogen. Der Kulturpark war nicht nur ein Freizeitort, sondern auch ein Spiegel des Lebensgefühls in der DDR – bodenständig, kreativ und voller Kontraste.


1991–2001: Vom Kulturpark zum Spreepark – Der Beginn eines schillernden Kapitels

Nach dem Ende der DDR wurde der Volkseigene Betrieb Kulturpark Berlin 1991 vom Berliner Senat abgewickelt. Unter sieben Bewerbern setzte sich die Spreepark Berlin GmbH des Schaustellers Norbert Witte durch. Doch der Zuschlag erwies sich schnell als folgenschwer. Der Senat hatte Wittes Hintergrund nicht näher beleuchtet – ein Versäumnis, das später Schlagzeilen machen sollte.



Die Witte-Dynastie: Von Albanischen Königen und Berliner Schaustellern

Norbert Witte entstammt einer der ungewöhnlichsten Schaustellerfamilien Deutschlands – und das mit gutem Grund. Sein Großvater Otto Witte war ein Jahrmarktskünstler, dessen Leben aus schillernden Geschichten und hochstaplerischen Abenteuern bestand. Berühmt wurde Otto mit seiner Behauptung, er sei für fünf Tage „König von Albanien“ gewesen. Angeblich hatte er sich 1913 als Prinz Halim ed-Din ausgegeben, wurde zum König gekrönt und setzte sich wenig später mit den königlichen Schätzen ab. Obgleich die ganze Geschichte nachweislich frei erfunden war, bestand Otto bis zu seinem Tod darauf, diesen Titel zu führen – sogar sein Grabstein trägt die Inschrift „Ehem. König v. Albanien“.


Die Geschichten des „Königs von Albanien“ machten Otto Witte zum legendären Original und zugleich Symbol für den schillernden, manchmal dubiosen Charme der Schaustellerwelt. Diese Mischung aus Wagemut, Fantasie und Grenzüberschreitung sollte auch die spätere Geschichte seines Enkels Norbert und dessen turbulente Zeit im Spreepark prägen – allerdings mit weitaus ernsteren Konsequenzen.


Norbert Witte: Ein Schausteller mit düsterer Vergangenheit und einem fatalen Vertrauensvorschuss

Norbert Witte, Enkel des legendären Hochstaplers Otto Witte, wuchs im Schaustellermilieu Hamburgs auf und galt als talentierter, wenn auch risikofreudiger Schausteller. Doch 1981 ereignete sich ein tragisches Unglück, das seinen Ruf nachhaltig beschädigen sollte: Beim Versuch, ein defektes Getriebe an seiner Loopingbahn Katapult zu reparieren, geriet ein Kran in die Flugbahn eines anderen Fahrgeschäfts. Der daraus resultierende Unfall war einer der schwersten in der deutschen Kirmesgeschichte und forderte sieben Todesopfer sowie 15 teils schwer verletzte Menschen. Witte wurde später wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung verurteilt, seine Schaustellerkarriere in Deutschland war damit schwer belastet.


Nach dem Unfall versuchte Witte, im Ausland Fuß zu fassen, bevor er 1990 mit gemieteten Fahrgeschäften im damaligen Kulturpark Plänterwald auftauchte. 1991 erhielt die von seiner Ehefrau geführte Spreepark GmbH überraschend den Zuschlag für den Betrieb des Freizeitparks. Doch der Berliner Senat hatte offenbar Wittes Vergangenheit nicht ausreichend geprüft. Mit seiner bewegten Geschichte und dem schlechten Ruf aus dem verheerenden Unfall war Witte ein höchst fragwürdiger Kandidat für eine solch weitreichende Verantwortung.



Absturz in den Wahnsinn: Die Pleite des Spreeparks und der Drogenschmuggel

Ende 2001 war der Traum vom modernen Freizeitpark ausgeträumt: Die Spreepark GmbH & Co. KG meldete Insolvenz an. Der einstige Publikumsmagnet, der in den 1990er-Jahren mit Millionenbesuchern und ambitionierten Umbauten glänzte, war durch hohe Schulden, Besuchereinbrüche und missglückte Investitionen wirtschaftlich am Ende. Der Senat erlaubte keine Parkplätze im Plänterwald, Besucher blieben aus. Am 18. Januar 2002 setzte sich Norbert Witte mit seiner Familie und engen Vertrauten nach Lima, Peru, ab – und hinterließ Schulden von 11 Millionen Euro.


Unter dem Vorwand, sechs Attraktionen zur Reparatur zu verschiffen, ließ Witte Fahrgeschäfte wie den Fliegenden Teppich und die Achterbahn Jet Star in 20 Containern nach Südamerika bringen. Dort scheiterte er jedoch auch mit dem Versuch, einen neuen Freizeitpark, den Lunapark, aufzubauen. Schutzgelderpressungen, die Tropenluft, die den Fahrgeschäften zusetzte, und das schlechte Spanisch des Schaustellers führten zu seinem Untergang. Ein Bekannter brachte ihn schließlich dazu, Kokain in den „Fliegenden Teppich“ zu schmuggeln. Die 167 Kilo Drogen wurden in den Arm des Karussells versteckt – ein Tipp führte jedoch zur Aufdeckung des Schmuggels. Der Plan flog auf, und Witte wurde 2004 zu sieben Jahren Haft verurteilt.


Noch dramatischer war das Schicksal seines Sohnes Marcel, der unwissentlich in den Schmuggel verwickelt worden war. Norbert Witte, der wegen eines Herzinfarkts gesundheitlich angeschlagen war, wurde in Deutschland wegen seines Drogenschmuggels zu sieben Jahren Haft verurteilt. Marcel, der laut Aussagen nichts von den Drogen gewusst haben soll, blieb in Peru zurück. Dort wurde er unter grausamen Haftbedingungen zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, in einer Haftanstalt, die für Überbelegung und Gewalt berüchtigt war. Seine Mutter kämpfte verzweifelt um seine Freilassung, schrieb an Politiker und setzte sich für seine Rückkehr nach Deutschland ein. Nach 13 Jahren Haft in Peru wurde Marcel schließlich 2016 überstellt, was Hoffnung auf einen Neuanfang gab.


Um 2010/11 plante ich gemeinsam mit einer Berliner Tourguiding-Firma, geführte Touren durch den damals verlassenen Spreepark anzubieten. Doch unser Vorhaben scheiterte: Die Sicherheitsfirma, die das Gelände bewachte, sowie die Ehefrau und Tochter von Norbert Witte verlangten 2/3 unserer Einnahmen. Sie erklärten uns, dass das Geld dringend benötigt werde, um das peruanische Gefängnispersonal zu bestechen und so Wittes Sohn Marcel das Überleben in der berüchtigten Haftanstalt zu sichern. Diese finanziellen Forderungen konnten wir schlicht nicht stemmen.



Der Spreepark als Lost Place – Abenteuer und Nostalgie

Als Kind war ich das erste Mal im Spreepark und bin dort meine allererste Achterbahn gefahren. Es war ein magischer Ort – das Riesenrad, die Wildwasserbahn, die drehenden Kaffeetassen – alles hatte einen besonderen Zauber. Doch Ende der 2000er Jahre, als der Spreepark längst verlassen war, lockte er mich und viele andere als Lost Place erneut an.


Mit Freunden bin ich über den Zaun geklettert, um das verfallene Gelände zu erkunden. Es war ein gewaltiger Nervenkitzel, zwischen den rostigen Fahrgeschäften und zerfallenden Gebäuden herumzuschleichen. Einmal kletterten wir in die stillstehenden Kaffeetassen – eine surreal-morbide Kulisse. Doch plötzlich ging in einem der umliegenden Häuser, in denen Norbert Witte damals noch lebte, das Licht an. Wir rannten so schnell wir konnten.


Ein anderes Mal glaubte ein Freund, die Wasserbahn sei mit Beton gefüllt. Er sprang drauf – und landete in kaltem, algenbedecktem Wasser. Triefend nass und lachend schlich er hinter uns her. Immer mussten wir aufpassen, dass uns der Sicherheitsdienst nicht entdeckte.


Der Spreepark war ein Magnet für Abenteurer und Nostalgiker gleichermaßen. Mit der Zeit wurde er jedoch stärker gesichert. Führungen über das Gelände und das „Café Mythos“ boten zwischenzeitlich legale Wege, die Magie des Ortes zu erleben, doch auch diese Zeiten sind längst vorbei. Heute bleibt der Spreepark eine verblassende Erinnerung an glanzvolle und tragische Tage, ein Stück Berliner Geschichte, das zwischen Faszination und Verfall schwebt.



Die Zukunft des Spreeparks – Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit

Der Spreepark in Berlin befindet sich in einem umfassenden Wandel. Bis 2026 entsteht hier ein einzigartiger öffentlicher Raum, der Natur, Kunst und Kultur vereint. Alte Relikte wie das berühmte Riesenrad werden restauriert und in neuer Form erlebbar gemacht. Das Rad wird nach seiner Fertigstellung spektakulär über einem Wasserbecken „schweben“ – eine Hommage an die Vergangenheit, die gleichzeitig auf die Zukunft ausgerichtet ist.


Auch andere Elemente des historischen Parks werden erhalten und kreativ umgestaltet. Die Mero-Halle, das ehemalige „Englische Dorf“ und das Cinema 2000 werden in neuer Funktion als Kultur- und Veranstaltungsorte wieder zugänglich sein. Bereits fertiggestellt ist das denkmalgeschützte Eierhäuschen, das mit Gastronomie, Kunstresidenzen und einem Schiffsanleger ein beliebtes Ausflugsziel geworden ist.


Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt der Planungen: Straßen werden entsiegelt, nicht heimische Bäume durch neue ersetzt, und der Park soll ohne Auto erreichbar sein – per Rad, ÖPNV oder Schiff. Der Eintritt wird erschwinglich bleiben, um den Park für alle zugänglich zu machen. Der Spreepark der Zukunft wird nicht nur ein Ort der Erholung, sondern ein Impulsgeber für innovative Stadtentwicklung und kulturelle Vielfalt. Die verlassenen Fahrgeschäfte bleiben erhalten, sodass der morbide Charme und die bewegte Geschichte des Spreeparks auch in Zukunft spürbar sein werden.




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